Viele Saiten wechseln die Seiten

Im Juni heißt es wieder Abschied nehmen. Die Musikerin mit den meisten Saiten im Orchester und zwei Streicherkollegen, die allesamt die Klangkörper des Rundfunks über viele Jahre prägten, werden Abschied vom aktiven Orchesteralltag nehmen. Michaela Preuß, Soloharfenistin und Hartmut Preuß, langjähriger Konzertmeister der Kammerphilharmonie und nun in den ersten Geigen des MDR-Sinfonieorchesters sowie Thomas Schicke, der viele Jahre Solokontrabassist war, möchten wir hier in diesem Beitrag noch einmal zu Wort kommen lassen.

Michaela und Hartmut Preuß: Für uns beide war es ein besonderes Glück, dass wir 1981 und 82 unmittelbar nach dem Studium im gleichen Orchester diese Stellen als Konzertmeister und Soloharfenistin bekommen haben.

Thomas Schicke: Ich habe meine ersten 3 Jahre, also seit September `84, in der Musikalischen Komödie gespielt, hatte aber schon ab Spielzeit 86/87 einen Vertrag als Solokontrabassist im Großen Rundfunkorchester (GO) unter Horst Neumann. Vom mdr wurde ich in gleicher Position ins Sinfonieorchester übernommen. Ab Spielzeit 2006/07 setzte ich mich nach hinten ins Tutti.

Ihr habt durch eure herausragenden Positionen in den verschiedenen Rundfunk-Orchestern sehr, sehr verschiedene Klangwelten erlebt, was wird aus diesem langen Rundfunkmusikerleben als schönster Moment (oder Momente) im Gedächtnis bleiben? 

Thomas Schicke: Als Segler fand ich es natürlich toll, zwei Mal auf einem Kreuzfahrtschiff dienstlich unterwegs zu sein. Der mdr konnte ein Kammerorchester auf die „MS Europa“ schicken. Zu meinen schönsten Erinnerungen gehört die Deutschlandtournee von Placido Domingo (in den 90ern), auf der ihn die Kammerphilharmonie begleitete. Oper haben wir ja leider wenig gespielt, so gehörte es mit zu meinen großen Erlebnissen Bizets „Carmen“ in 6 Tagen 7x zu spielen (ja, am Sonntag gab es eine Vormittags- und eine Abendvorstellung), abwechselnd mit  Domingo und José Carreras in der Rolle des Don José. Zu meinen Opernhöhepunkten gehört natürlich auch die Wagnerwoche 1992 in Athen, in der wir mehrmals den Holländer und Ausschnitte aus Lohengrin spielten. Eine weitere großartige Erfahrung war für mich das Weihnachtsoratorium (mit allen 6 Kantaten) im Gewandhaus unter Helmut Rilling. Und einmal war ich (u.a. mit Hartmut Preuß) in Japan zum Unterrichten – das war auch ein prägendes Erlebnis.

Hartmut Preuß: Den schönsten Moment gab es nicht. Es waren zum Glück sehr viele. Die ersten 20 Jahre meines Berufslebens waren für mich sicherlich die spannendsten, da ich als Konzertmeister, gefördert durch unseren damaligen Chefdirigenten Horst Neumann, viele reizvolle solistische Aufgaben hatte. Eine der Schönsten war für uns beide sicherlich die Aufnahme der „Schottischen Fantasie“ von Max Bruch für Violine, Harfe und Orchester. Weiterhin für mich die Aufführungen der „Matthäus Passion“ unter der Leitung von Peter Schreier und Ennoch zu Guttenberg, Konzerte in der Dortmunder Westphahlen – Halle und der Berliner Waldbühne mit Plácido Domingo und Jose Carreras vor ca. 40 000 bzw. 20 000 Zuschauern, Opernaufführungen zu den Salzburger Festspielen unter Leitung von Udo Zimmermann (Regie: George Tabori) usw…..

Konzert mit Phillip Entremont

Michaela Preuß: Mir als Opernliebhaber fehlte im Rundfunkorchester natürlich die Opernliteratur, deshalb habe ich besonders gern Opernkonzerte, die Tosca  mit Fabio Luisi, den Fliegenden Holländer und den 1.Akt Lohengrin mit Ralf Weigert in Athen 1992 und verschiedene Konzerte , zum Beispiel einen Opernwettbewerb in Dresden, Konzerte mit Plácido Domingo und Julia Migenes und auch die Aufführung der Carmen  mit Jose Carreras ,gespielt. Aber auch die Mahler-Sinfonien , viele Werke von Richard Strauß brachten viele glückliche Momente.

Michaela Preuß mit ihrer ehemaligen Kollegin Ursula Ausborn im Musikvereinssaal in Wien

Welches Repertoire habt ihr besonders gern gespielt? 

Hartmut Preuß:

  • die Passionen und Oratorien von J.S. Bach 
  • Sinfonien von Mozart, Beethoven, Brahms 
  • R.Strauß „Bürger als Edelmann“, „Don Juan“, „Don Quichote“
  • Rimski Korsakow „Scheherazade“

Michaela Preuß: Ganz besonders habe ich die Konzerte mit unserem unglaublich tollen Chor genossen, es waren immer Highlights.

Thomas Schicke: Ich habe am liebsten Kammermusik gespielt, da gehört für mich natürlich Bach in die erste Reihe, aber auch alle Mozartsinfonien und –konzerte. Außerdem bin ich Brahmsfan.

Welche Säle sind euch schmeichelnd in Erinnerung geblieben oder welches Publikum als besonders herzlich? 

Thomas Schicke: Der Saal des Gewandhauses bleibt für mein Empfinden unerreicht (auch oder obwohl er so etwas wie eine Heimat ist); Das Verhalten des Publikums hängt immer von den Stücken ab, die erklingen und natürlich vom Dirigenten. Das Große Rundfunkorchester (GO) und Horst Neumann wurden in Leipzig jedoch immer mit einem warmen Applaus begrüßt und belohnt. Das Suhler Publikum habe ich auch immer als besonders herzlich empfunden.

Michaela Preuß: …das Konzerthaus in Berlin, die Semperoper…

Hartmut Preuß: …der Musikvereins-Saal in Wien, die phantastisch klingenden Säle in Japan.

Thomas Schicke (vorn) beim Einspielen im Musikvereinssaal Wien

Viele Chefdirigenten und noch mehr Gastdirigenten habt ihr erlebt, wer bleibt euch besonders in Erinnerung? 

Thomas Schicke: Logischerweise mein erster Chef im Funk, Horst Neumann, der mich sehr gefördert hat, oben erwähnter Helmut Rilling, Enoch zu Guttenberg, der viel bei der Kammerphilharmonie dirigiert hatte. Zur Erklärung: seit 1992 gab es das Sinfonieorchester und die Kammerphilharmonie. Die Musiker dieses Orchesters waren die Kollegen des ehemaligen GO, die vom mdr übernommen wurden. Von 1992 bis 2002 gab es sozusagen zwei parallel agierende Klangkörper, die denselben Chefdirigenten hatten. An wen ich mich jederzeit gern erinnern werde, ist der momentane Chef: Dennis Russell-Davies.

Michaela Preuß: Jean-Claude Casadesus, während meiner Studienzeit in Weimar haben mich besonders beeindruckt und geprägt. Rolf Reuter und Igor Markevitch 

Hartmut Preuß: Serge Baudo, Marcello Viotti, Heinz Rögner

Konzertmeister Hartmut Preuß beim Einstimmen mit Dirigent Marcello Viotti

Werden die Instrumente nun an den Nagel gehängt oder geht es musikalisch noch ein bisschen weiter? Wenn ja, was habt ihr für Pläne? 

Thomas Schicke: Ich werde weiter unterrichten und mich auf dem Bass dafür fithalten. Es lag mir immer am Herzen, Nachwuchs auszubilden, denn ich bin der Überzeugung, dass Orchester unbedingt zu unserem Leben gehören müssen – also brauchen wir Nachwuchs. So werde ich z.B. weiterhin beim Landesjugendorchester die Kontrabassgruppe betreuen und auch andere Jugendorchester begleiten. Außerdem freue ich darauf, mehr Zeit zum Spiel der Cello Solosuiten (für Bass bearbeitet) zu finden – das sind die Klänge, welche ich besonders liebe. 

Michaela: Ganz sicher werde ich noch Harfe spielen, aber nur zum Vergnügen. Ich freue mich auf Opernbesuche in großen Opernhäusern quer durch Europa und Liederabende sowie lesen, nähen , wandern.

Hartmut: Was für eine Freude, nur noch das spielen zu können, was einem Spaß macht!

Michaela Preuß, durch die Saiten eingefangen von der Kamera unseres
Kollegen Adam Markowski.

Liebe Michaela, lieber Hartmut, als Paar in einem Orchester zu spielen ist bestimmt nicht immer einfach oder doch? Habt ihr die berufliche Nähe genossen, euch vielleicht abends die nervigsten Ohrwürmer gemeinsam abgewöhnt oder war es nie schwierig, Abstand zu finden? Wie habt ihr es geschafft, euch über diese lange und durch die Fusionen der Klangkörper nicht immer problemlose Dienstzeit immer wieder zu Höchstleistungen zu motivieren? Und wie habt ihr Familie und unregelmäßige Arbeitszeiten, ja Konzertreisen organisatorisch unter einen großen Bogen bekommen? Werden euch eure Kinder und Enkel auf Trab halten oder werdet ihr erst einmal die Ruhe genießen?

Hartmut Preuß: Sicher von allem etwas. Hobbys gibts einige (Geigenbögen bauen und reparieren lernen, Fotografieren, Haus und Garten werden uns beschäftigen, außerdem wollen wir noch viele schöne Gegenden, Länder und Konzerte besuchen, solange wir noch fit sind!

Michaela Preuß: Unser Berufsleben bestand zu einem nicht unwesentlichen Teil aus Planung und Organisation, ich freue mich sehr darauf, daß dies jetzt anders sein wird. Wir haben es beide als angenehm empfunden, daß der Partner immer wußte, worum es bei dienstlichen Dingen ging…

Hartmut Preuß bei einem Orchesterwandertag

Thomas, du bist der heimliche Segelkapitän des Orchesters, stichst du nun sofort in See? Wird es eine Weltreise geben? Oder hast du mit dem Bass noch ganz andere Pläne? 

Thomas Schicke: Ich werde sicher etwas mehr Segeln, solange meine Kraft reicht, der Verein „Leben lernen auf Segelschiffen“ mich braucht und es mir Freude bereitet mit den jungen Menschen gemeinsam zu arbeiten, aber eine Weltumsegelung wird es definitiv nicht geben!

Segelkapitän Thomas Schicke

Ein MusikERleben erfährt vielleicht Zäsuren, aber das „Musik erleben“ hört mit dem Eintritt ins Rentenleben bei vielen Musikern nicht auf. Was möchtet ihr unbedingt noch erleben bzw. erhören, wofür vielleicht noch nie Zeit war? 

Thomas Schicke: Ich kann jetzt spielen, was ich will (z.B. Bach) und muss mich nicht mehr auf den Dienst vorbereiten. Ich glaube, dass ich nun auch Konzerte und Opern entspannter genießen kann. Ansonsten erlebe ich das Heranwachsen meiner beiden Enkel; und freue mich z.B. auf die Hanse Sail in Rostock.

Michaela Preuß macht auch fachfremd eine gute Figur! Hier bei der Instrumentenwerkstatt von MDR-Clara, dem Musik-Netzwerk des MDR für Kinder und Jugendliche in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen auf der Leipziger Buchmesse.

Was gebt ihr dem musikalischen Nachwuchs, der nun im Orchester beginnt, mit auf den Weg? 

Hartmut Preuß: Dirigenten, Hauptabteilungsleiter und Manager haben wir viele erlebt und zum Glück kommen und gehen sie wieder! Das Orchester bleibt hoffentlich auch nach dem 100jährigen Jubiläum in seiner Größe und Bedeutung bestehen! Sich die Freude an der Musik zu erhalten, scheint mir das Wichtigste zu sein.

Michaela Preuß: Ein Orchester besteht aus so vielen starken und doch sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, die gemeinsam mit einer wunderbaren Materie, der Musik, umgehen. Auch wenn die äußeren Umstände nicht immer ideal sind, so ist doch am wichtigsten, dass das Orchester als Einheit erscheint. Der respektvolle und freundliche Umgang miteinander ist die Grundlage für das Musizieren auf höchstem Niveau.

Thomas Schicke: Es geht nicht ausschließlich darum, das eigene Instrument und die eigene Stimme perfekt zu beherrschen – es sollte auch ganz viel um Kameradschaft und Miteinander gehen. Außerdem fände ich es gut, wenn sie sich engagieren, junges Publikum an die Orchestermusik heranzuführen, und das nicht nur im Konzertsaal. Dieses Engagement muss trotz „Geldmangel“ und Bürokratie anhalten.

Vielen Dank für alles an euch drei und alles Gute im neuen Lebensabschnitt!

Nach dem Konzert in der Liebfrauenkirche Wernigerode streichelt Michaela Preuß noch einmal „ihre“ Orchesterharfe, die sie nun ihrer Nachfolgerin übergibt.

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