Coronakrise aus Posaunistensicht

Eckart Wiegräbe, Uwe Gebel und Fernando Günther stehen im Wald

Der Beginn der Corona-Beschränkungen hat mich kalt erwischt, das gestehe ich. Zuerst das Hoffen, dass doch noch Konzerte stattfinden, dann die Hoffnung wenigstens auf „Geisterkonzerte“… aber dann doch mindestens Kammermusikaufnahmen…

Nichts mehr. Alleine zuhause und sinnlos, denn wir Musiker sind dafür da, anderen Freude zu bringen. Wir sind dafür da, damit Menschen nach einem Konzert erfüllt nach Hause gehen, weil sie berührt wurden durch die Musik.

Dann kam aber ganz schnell die Erkenntnis, dass diese Zeit auch Chancen gibt:

Üben muss ich sowieso, da geht es mir wie jedem Hochleistungssportler. Wenn ich zu lange aussetze, kann ich das Niveau nie wieder erreichen.

Johannes Kronfeld und Eckart Wiegräbe auf dem Turm der Kirche St.-Moritz Taucha

So konnte ich mit dem Posaunenchorleiter meines Heimatortes die immerhin online existierenden Gottesdienste vom Turm auch real stattfinden lassen (in angemessener Entfernung voneinander).

Wir konnten alle die schönen Aktionen einer bundesweiten „Ode an die Freude“ mitspielen und bekamen Reaktionen wie: „Das macht etwas mit mir.“

Die fehlenden musikalischen Partner ersetzte ich, wie viele Andere auch, durch Mehrspur-Aufnahmen: Mit Mikrofon, Audio-Interface und Einohr-Kopfhörer sind ganz passable Aufnahmen am Computer möglich. Das einzige „Problem“ ist, dass man für alle Fehler selbst verantwortlich ist…

Es entstand das wunderbare Stück „Hoffnung/Hope“, das unser Solo-Trompeter Gerd Fischer eigens für das Orchester komponierte. Jede*r Musiker*in spielte seine/ihre Stimme zuhause ein, mit Handy, Laptop, Mikrofon – und Susanne Schneider schnitt das ganze Material in unglaublicher Arbeit an ihrem Laptop (Vielen Dank beiden!). Ein wirklich schönes Zeugnis, wie in dieser Zeit Außergewöhnliches, Kreatives und Menschliches entstehen kann – unbedingt anschauen!

Uwe Gebel und Fernando Günther in einem Kindergarten in Dresden, bevor es weiterging nach Pirna.

Vor einigen Wochen hatte eine Redakteurin aus dem MDR (Anorte Linsmayer) die wunderbare Idee des „Lieder-Lieferdienstes“. Die Krise bringt in vielen Menschen das Beste zum Vorschein – und wir dürfen das feiern und würdigen. https://www.mdr.de/konzerte/lieder-lieferdienst-mdr-ensembles-corona-100.html

Seither – es wurde ja schon ausführlich berichtet – fahren wir in kleinen Besetzungen über das gesamte Sendegebiet und musizieren wieder.

Von einem Tag möchte ich exemplarisch erzählen:

Am 08.05. hatten wir, also Uwe Gebel, Fernando Günther und Eckart Wiegräbe, um 10 Uhr einen „Lieder-Lieferdienst“ in Harztor bei Nordhausen. Eine Tochter bedankte sich durch uns bei ihren Eltern, die immer für ihre acht (!) Kinder und dreizehn (!) Enkelkinder da waren, obwohl ihr Vater gerade den Unterschenkel amputiert bekommen hat. Es war ein sehr berührender Auftritt, wie sich die Familie zu unserer Musik im Arm hielt. Der nächste Termin sollte bei einer Apotheke in Mühlhausen sein. Da wir noch etwas Zwischenzeit hatten, machten wir in einem Wald kurz vor Mühlhausen eine Pause. Nachdem wir einen Förster beruhigt hatten, konnten wir sogar eine Probe machen (siehe Foto oben) – denn wir passen unser Programm gerne ganz aktuell den Beschenkten an und erweitern es immer wieder.

Vor der Apotheke – an der berühmten Persil-Uhr – trafen wir auch unseren Jump-Reporter. Mit seinem Jump-Auto und einer fitnessgestählten Figur in hippen Klamotten kamen wir uns schon etwas bieder vor. Die Apotheker-Besatzung, die für ihren unermüdlichen Einsatz belohnt werden sollte, entpuppte sich als sehr fidele Damen-Truppe, die zu unseren Stücken ein Tänzchen auf die Straße legte…und das lag ausschließlich an unserer Musik – und der attraktive Jump-Reporter hatte da garantiert gar nichts mit zu tun…

In Ballenstedt. Die Dame in blau nähte hunderte Alltagsmasken!

Wir erleben durch den „Lieder-Lieferdienst“ Tränen der Freude und der Rührung. Wir erleben auf der Straße tanzende Menschen. Wir erleben überwältigende Dankbarkeit.

Und wir erleben unser Publikum in einer Nähe, die wir sonst so gut wie nie haben. 

Ich freue mich schon sehr, wenn die Konzerte wieder starten können. Dann werde ich ins Publikum schauen, und vielleicht erkenne ich die Frau, für die wir spielen durften, weil sie hunderte Alltagsmasken genäht und verschenkt hat.

Eckart Wiegräbe

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