Alfred Szendrei – Archivschnipsel 1/2024 zum Jubiläum

Der Rundfunk in Leipzig feiert in diesen Tagen sein 100. Jubliäum, eine schöne Gelegenheit, auf die Memoiren eines der Gründungsväter mit einem Buchtipp hinzuweisen. 

Alfred Szendrei, ehemaliger Kapellmeister am Opernhaus Leipzig und erster musikalischer Direktor der MIRAG (Mitteldeutsche Rundfunk AG) und schließlich auch erster Chefdirigent des MDR-Sinfonieorchesters (damals Leipziger Sinfonieorchester) schrieb über sein Leben und Schaffen in den 20er Jahren in Leipzig, über künstlerischen Klatsch und Tratsch, aber auch über das schleichende Gift des Nationalsozialismus, das ihn erst die Stelle in Leipzig kostet (übrigens bereits ein Jahr bevor die Nazis an die Macht kamen – er erzählte einen Naziwitz und sowohl seine Kritiker, die ihn schon lange loswerden wollten als auch die machtwitternden Nazisympathisanten feuerten ihn in Zusammenarbeit mit der Presse) und schließlich zur Flucht über Frankreich in die USA zwingt. Daran anknüpfend, rekonstruierte Max Pommer, ebenfalls ehemaliger Chefdirigent des Rundfunksinfonieorchesters Leipzig, zusammen mit Szendreis Enkeln, Zeitzeugen und Dokumenten den weiteren Werdegang des Dirigenten und veröffentlichte 2014 im Seume-Verlag Szendreis Memoiren aus seiner Leipziger Zeit.

Szendrei war auch Musikforscher und bedeutender Radiomusikwegbereiter. So ist 1931 bei Kistner & Siegel seine Dissertation „Rundfunk und Musikpflege“ veröffentlicht worden, auch darüber berichtet er in seinen Leipziger Memoiren. Größere Verbreitung fand später seine „Dirigierkunde“ (1932 bei Breitkopf & Härtel erschienen). „Eigentlich ein Affront gegen die Mystifizierung des Dirigierens und deshalb dem „Lehrbuch des Dirigierens“ von Hermann Scherchen an die Seite zu stellen.“ (Max Pommer)

Eine Geschichte von Leipzig über Paris nach Hollywood. Nicht ins Filmgeschäft, sondern in die Erforschung jüdischer Musik als musikalischer Direktor im Sinai Tempel in Los Angeles. Es ist auch eine Geschichte des jüdischen Erbes von Leipzig, das nahezu verloren gegangen ist. Eine Geschichte, die 2026 im „Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen“ erzählt werden sollte.

Alfred Szendrei musste in seinem besten Alter zunächst nach Frankreich fliehen, wo er ebenfalls im Rundfunk tätig war, bevor er dann weiter in die USA emigrierte. Er war 56 Jahre alt, als er nahezu mittellos Amerika erreichte. Szendreis erste Jahre in New York zeigen, wie hoffnungsvoll und zuversichtlich gestandene Musiker aus dem alten Europa in Amerika ankamen, um nur kurze Zeit später zu erkennen, dass sie dort als hoffnungslose Bittsteller ankamen.

Bei der ersten Kontaktaufnahme schickte Szendrei eine Werbebroschüre in englischer Sprache mit, in der ihm Arthur Nikisch, Richard Strauss, Arnold Schönberg und Otto Klemperer samt Originalunterschriften größte Anerkennung zollten, es half alles nichts. Alfred Szendrei war nach seiner Emigration in den USA nicht mehr als Konzert- oder Operndirigent tätig.

Umso überraschender ist vielleicht sein Auftritt in einem Film von 1947 über das Dreiecksverhältnis von Clara und Robert Schumann mit Johannes Brahms. Clara (Katherine Hepburn) spielt darin zu Beginn Liszts Klavierkonzert Es-Dur, Alfred Szendrei dirigiert als Statist bei der nachgestellten Konzertaufnahme! „Ein gut aussehender Grandseigneur steht da am Pult, und wir haben die Möglichkeit, das energische und zugleich klassisch-präzise Dirigieren zu bewundern. So muss er in Leipzig auch gewirkt haben…“, schreibt Max Pommer über diese Filmszene.

Er besann sich in Amerika schließlich der Wurzeln seiner Väter und widmete sich wissenschaftlich wie praktisch der jüdischen Musik als musikalischer Direktor des Sinai Tempels in Los Angeles.

Das begann alles, als ich in Deutschland während der Entstehung der Nazi-Bewegung lebte. Dieser schändliche und böse Kult, der nicht nur das jüdische Volk, sondern alle Zeugnisse jahrhundertealter Kultur zu zerstören drohte. Ich war einer der wenigen Glücklichen, die dem Holocaust entfliehen konnten. Ich fühlte, daß es die Pflicht jedes gebildeten Juden war, am intellektuellen Kampf gegen den Nazismus teilzunehmen, indem er seine Geschicklichkeit und Erfahrung in vollem Umfang dafür nutzt. Mein Feld mußte natürlich die Musik sein, aber zu der Zeit hatte ich nicht den blassesten Schimmer, zu welchem Thema in der Musik ich meine Fähigkeiten am besten einbringen könnte, um das jüdische Erbe am Leben zu erhalten. Nach langer Überlegung beschloß ich, mich der Forschung zur Geschichte jüdischer Musik zu widmen.“ (Alfred Szendrei)

Auch als Lehrer für Komposition war er begehrt, so nahm Henry Mancini bei ihm Unterricht. Er schrieb 1988 rückblickend in einem Brief:

Ich studierte bei Dr. Szendrey zwei Jahre lang. 1949 und 1950. Meine Studien bei ihm betrafen hauptsächlich Komposition und Theorie. Ich fand, dass er ein wunderbarer Lehrer war und außerdem eine freundliche, liebevolle Persönlichkeit. Mein Unterricht sollte eine Stunde dauern, aber oft sind wir über die vereinbarte Zeit hinausgegangen, weil wir in interessante Probleme verwickelt waren. Niemals hat er über sich selbst erzählt. Nur über seinen Sohn Albert, den ich sehr gut kannte, wusste ich, dass er einen bedeutenden und wichtigen Anteil an der Musik des 20. Jahrhunderts hatte. Er war ein großartiger Mann, und ich werde ihm immer verpflichtet sein.“ (Henry Mancini, 1924 in Cleveland geboren, ist ein amerikanischer Komponist von Film- und Unterhaltungsmusik, 1961 gewann er für die Filmmusik zu „Breakfast at Tiffany´s“ einen Academy Award)


Im türkisen-blauen Garten – Der Weg des Kapellmeisters A.S. von Leipzig in die Emigration, erzählt von ihm selbst – Herausgegeben von Max Pommer – erschienen 2014 im Verlag J.G.Seume (ISBN: 978-3-9814045-4-8)


Dienstags ist der #Depotdienstag der Museen, wir zeigen Schnipsel, die uns in unserem Archiv in die Hände fallen, aber auch Schnipsel, die mdr-Orchesterfreunde zu uns bringen. Deshalb unsere Frage an Sie: Haben Sie Erinnerungen zu Hause? Haben Sie Geschichten zum Orchester zu erzählen? Schreiben Sie uns oder erzählen Sie es uns (…möglichst so, dass wir es uns merken können, also am besten vor einem Mikrofon.)! Wir sind sehr neugierig… 

Schon lange hatten wir hier im Blog keinen #Archivschnipsel mehr. Schade eigentlich, aber Zeit und personelle Ressourcen sind knapper denn je, deshalb an dieser Stelle ein Hinweis oder besser Hilferuf in eigener Sache. Wenn Sie Freude an unserer Vereinsarbeit haben, ob off- oder online, und sich einbringen möchten, sprechen Sie uns gern an! Wir suchen immer weitere kulturbegeisterte Begleiter und Förderer des MDR-Sinfonieorchesters, je mehr, desto besser, denn die schönen Kulturdinge, die diesen Verein beschäftigen und den Begriff Team (das nicht zuletzt als Vorstand am Kopf des Vereins steht) sollte man nicht im Sinne von „Toll, Ein Anderer Macht´s“ verstehen, sondern eher als Community leben und die Vereinsarbeit auf viele Schultern verteilen.

Das Orchester steht in den nächsten Jahren vor einem Generationenwandel, das spiegelt sich auch in unserem Freundeskreis wieder. Viele MusikerInnen verabschieden sich aus dem aktiven #MusikERleben in ein das Orchester begleitendes. Die Fäden, die im gemeinsamen Orchesterleben gesponnen wurden, reißen nur selten bei Eintritt in das Rentendasein und man sieht sich im Konzert oder gar bei den nächsten Muggen wieder. Einige bringen sich auch im Ruhestand weiterhin aktiv in Begleitung und Förderung des Orchesters ein, wie z.Bsp. unser Vereinsvorsitzender und ehemaliger Solobratscher Prof. Thomas Wünsch, der im März seinen 80. Geburtstag feiert. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute an dieser Stelle. Ganz besonders vielen herzlichen Dank für Ihre damalige Initiative zur Gründung des Vereins und Ihre jahrelange Arbeit im Freundeskreis, dem Sie mit Unterbrechung viele Jahre als Vorsitzender vorstanden.

Gerade wenn man das in diesem Buch vorgestellte Buch liest, wird man sich bewusst, dass es immer begeisterte Individualisten braucht, um neue Dinge wie damals den Rundfunk ins Leben zu rufen oder heute in Zeiten von Diskussionen um Reformen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks weiterzudenken, denn letztendlich sind wir alle es, die diesen Rundfunk als eine öffentliche Institution gestalten. Schon oft mussten sich die Rundfunkensembles des Senders Leipzig wandeln und mutig verändern, der Gründungsvater #AlfredSzendrei wäre heute jedoch sicher sehr stolz, dass „seine“ musikalische Idee noch lebt und in sämtlichen Sparten der Musikgeschichte Musik im (chor)-sinfonischen Sinne zusammensucht und ins Radio und mittlerweile auch Fernsehen bringt.

Es wird auch in Zukunft mutige, ideenreiche Idealisten brauchen, die diese Art von augenblicksgeschaffener, menschengemachter Bildung weiterhin zu besten Sendezeiten ins Programm nehmen. Genauso braucht es jedoch Freunde des Rundfunks und vor allem Hörer, die sich der Besonderheit dieser Bildung bewusst sind und ihre Endgeräte einschalten oder z.Bsp. ein Rundfunksinfonieorchester begleiten und fördern.

Im April zur nächsten Jahreshauptversammlung unseres Vereins steht wieder eine Vorstandswahl an. Einige Vorstandsmitglieder treten aus verschiedenen Gründen nicht wieder an, auch ich – Susanne Schneider – suche dringend Unterstützung in der digitalen Vereinsarbeit, ich kann derzeit im bisher von mir in den vergangenen 5 Jahren eingebrachten Umfang nicht fortsetzen, stehe aber gern in einem größeren Team weiter zur Verfügung.

Wir suchen Sie / dich in unserem Verein bei der Unterstützung der Sache #DuFürDieKultur


Dieser Beitrag entstand durch sehr hilfreiche Zuarbeit meines Kollegen, Bernd Strauss, eines der Archivare des Orchesterarchivs des MDR-Sinfonieorchesters.

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