Freitagsfrage 15.11.2019 – Sitzordnung

In dieser Woche beschäftigt uns eine Freitagsfrage von Frau Christine Friede, die ins Innerste eines Orchesters zielt:

„Wer legt nach welchen Kriterien die Sitzordnung im Orchester fest?“

Für die Bläser ist die Sache relativ einfach und aus rein praktischen Gründen auch schon sehr lange fast gleichbleibend festgelegt: hinter den Streichern, in der Mitte das Holz; rechts oder manchmal links daneben die Hörner, aber immer in Holznähe, da viel Verbindung da sein muss; hinten das schwere Blech und viel oder wenig Schlagzeug, je nach gespielter Literatur. Die Holzbläser-Solisten sitzen zu viert in der Mitte sozusagen als Herzstück des Orchesters, die unterstützenden, weiteren Holzbläser nach außen fortsetzend.

Bei den Streichern liegt die Sache ungleich schwieriger, da gibt es viele Möglichkeiten und es wird auch oft gruppenweise umgestellt. Barbara Ude aus den zweiten Geigen des MDR-Sinfonieorchesters hat sich an die Beantwortung dieser Frage gewagt, vielen Dank!

„In einem Orchester herrscht, man mag es kaum glauben, eine strenge Hierarchie. Man kann sich nicht einfach dorthin setzten, wo man die beste Sicht auf den Dirigenten, den nettesten Pultnachbarn oder den kürzesten Weg zur Kantine hat! Nein, alles ist streng geregelt!

Das sieht bei den Streichern wie folgt aus: Der erste Platz, ganz vorne am Pult außen, ist dem Konzertmeister (1. Violine) bzw. dem Stimmführer (2. Violine, Viola, Cello, Kontrabass) vorbehalten. Sie haben in ihrer jeweiligen Gruppe das Sagen, bestimmen die Striche, geben Einsätze, führen durch schwierige Passagen und spielen die geforderten Soli. An ihnen orientiert sich die Gruppe. Manchmal ist es gar nicht so leicht, sie immer im Blick zu haben, denn ein Auge sollte auch auf den Noten und eines beim Dirigenten sein! 

Neben dem Konzertmeister/ Stimmführer sitzt der Stellvertreter. Er sollte den Konzertmeister unterstützen, zur Stelle sein, falls jener sich einmal irrt, ihn aber nicht stören- eine anspruchsvolle Aufgabe! 

Dahinter, am zweiten Pult, sitzen die Vorspieler. Sie sollen die Intentionen des 1. Pultes an die Gruppe weitergeben. Auch die Vorspieler mussten bei einem Probespiel um diese Position spielen. 

Die Gruppe- das sind die Tuttisten. Bei uns ist es so, dass diese rotieren. Wir haben das vor vielen Jahren beschlossen und fühlen uns sehr wohl dabei. Können wir doch so von Konzert zu Konzert mit einem anderen Kollegen spielen.

Noch vor 30 Jahren galt: der jüngste Kollege spielt auf dem letzten Platz ganz hinten. Und rückt dann mit den Jahren immer weiter vor. Doch wehe dem, man erwischt als Pultnachbarn nicht den Netten, den mit dem schönen Ton und dem Lächeln im Gesicht, sondern den Anderen… Auch das ist ein Grund zum Rotieren!

Die Sitzordnung des gesamten Orchesters wird vom Dirigenten bestimmt. Kristjan Järvi hatte den Wunsch, dass sich 1. Und 2. Violinen gegenüber sitzen (Deutsche Sitzordnung). Wir haben unter ihm so gespielt. Momentan ohne Chef, probieren wir andere Sitzordnungen aus. Die Beurteilung der Sitzordnung durch die Musiker ist sehr individuell. 

Wir sind gespannt, was sich unser neuer Chef wünscht…“


Eine kurze interessante Begebenheit am Schluss dieses Artikels: 1928 spielte das Leipziger Sinfonie-Orchester (kurz LSO, so hieß damals das Rundfunksinfonieorchester) als erstes deutsches Orchester vier Konzerte ohne Dirigenten mit sehr ungewöhnlicher Sitzordnung und sorgte für aufgeregte Stadtgespräche.

Gründe und Schilderungen, warum man ohne Dirigenten spielte, gibt es einige, der Erfolg war riesig, auch wenn es einigen ein Dorn im Auge war… all das ist vielleicht einmal Thema für einen zukünftigen Archivschnipsel. Hier und heute geht es um Sitzordnungen und da gehört dieses Detail unbedingt mit dazu, auch wenn uns heute über die Erfahrungen damals kaum noch jemand Auskunft geben kann. Spannend wäre es, dieses Experiment zu wiederholen…


Beitragsbild wie so oft von Adam Markowski – Danke!

Bild im Beitrag: abfotografiert aus „Mitteldeutscher Rundfunk – Die Geschichte des Sinfonieorchesters“ – verfasst von Jörg Clemen, herausgegeben von Steffen Lieberwirth im Verlag Klaus-Jürgen Kamprad, Altenburg, 1999


Sie haben eine Frage an die mdrSO-Musiker oder an die mit dem MDR Sinfonieorchester musizierenden Solisten und Dirigenten oder an die hinter der Bühne für einen reibungslosen Ablauf sorgenden Mitarbeiter? Schreiben Sie uns, wir versuchen, eine Antwort zu bekommen und veröffentlichen sie hier immer freitags. #mdrFreundefragen

Auch Musiker haben Fragen an Ihren Freundeskreis, deshalb wird es auch manche Frage an Freundeskreismitglieder geben. #mdrMusikerfragen

Eine Antwort auf „Freitagsfrage 15.11.2019 – Sitzordnung

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  1. Danke für die sehr ausführliche Beantwortung meiner Freitagsfrage. Das mit dem Rotieren ist mir ganz neu, ich habe zwar gesehen, dass nicht immer alle Musiker am gleichen Platz sitzen, dachte aber, das hat etwas mit dem jeweiligen Stück zu tun, weil ja mal mehr, mal weniger Instrumente vorgesehen sind.

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